Bahnhofsmission
© Ralf Schmitt „Hausbesetzung“ Berlin 27.04.1995
Im Herbst 1994 besuchte ich zum ersten Mal die Baustelle des bereits nach nur knapp vier Jahrzenten am 15.10.1884 geschlossenen ehemaligen „Hamburger Bahnhofs“ der alten Berlin-Hamburger Eisenbahn. Schon Jahre zuvor hörte ich von der wechselhaften Geschichte des Gebäudes, ohne jedoch deren Einzelheiten zu kennen: 1884 bis 1905 Büro- und Wohngebäude für Eisenbahner, 1906 bis 1943 Staatliches Verkehrs- und Baumuseum, partielle Zerstörung 1943, Dornröschenschlaf unter Obhut der britischen Besatzungsmacht in den Händen der Reichsbahn bis 1983, Übergabe 1984 an den Senat von Berlin (West) bis hin zu den Plänen des Umbaus zu einem Museum für zeitgenössische Kunst. Und ich las so einiges über die Direktoren; auch war mir der Titel der von Harald Szeemann kuratierten Ausstellung „Zeitlos“ bekannt, die vom 22.06. – 25.09.1988 stattfand und den Bahnhof als Ausstellungsort erstmals international bekannt machte. Seit 1990 erfolgte dann der Um- und Neubau des ursprünglich von Friedrich Neuhaus entworfenen Komplexes zu einem „Museum für Gegenwart – Berlin“ nach Plänen des Architekten Josef Paul Kleihues… Seit jenem ersten Besuch fühlte und benahm ich mich als inoffizieller Mitarbeiter dieses seine Identität wechselnden Hauses.
Ich fing an, die Baustelle als mein Atelier zu benutzen bis zur Eröffnung des Museums am 02.11.1996. Alles war nur eine Frage der Zeit, um es mit Felix Gonzales Torres zu sagen.
Am 27.04.1995 manifestierte ich diese „Hausbesetzung“ nach außen, indem ich auf den zwei Türmen eine falsche Deutschlandfahne und die Belgische Nationalflagge als Pendant zum beflaggten Reichstag installierte. Die Fahnen hingen ein paar Wochen, dann verschwanden sie. Zur Zeit von Christos Reichstagsverhüllung kam meine Mutter zu Besuch nach Berlin und ich führte sie in „mein“ Atelier; im Besprechungsraum der Bauleitung fanden wir dann plötzlich die zwei Fahnen fein säuberlich aufgehängt über zwei alte Garderobenständer. Später verschwand die belgische Fahne, die vermeintlich deutsche entwendete ich und benutze sie eine Zeit lang als Vorhang in meiner Wohnung.
Zeitweise täglich ging ich im Blaumann von meiner Wohnung an der Spree entlang zum Humboldthafen zu „meinem Arbeitsplatz“, um dort in situ mitzumachen: herumgehen, schauen, sprechen, Aktionen, Installationen, Objekte, Fotos, etc. Meine “Kollegen”, die Maurer, Elektriker, Bodenleger, Trockenbauer etc. störte das wenig; im Gegenteil, manche zeichneten, malten oder installierten etc. selbst. Nicht so die wechselnden Bauleitungen: insgesamt zweimal flog ich von der Baustelle, mit den Wächtern und den Hunden arrangierte ich mich. Auch brachte ich ab und zu Gäste mit ins Atelier…
Fortsetzung siehe .pdf